Samstag, 26. September 2009

Litija - Postojna



Am nächsten Morgen ging's weiter Richtung Laibach, zuerst noch im Morgendunst, dann bald wieder unter der Sonne. Berufsverkehr, Lkw; Busse. Schließlich ein Schild, das die Weiterfahrt auf der Straße für Radfahrer untersagte. Man wurde auf eine kleine Straße geleitet, die – mit Radroutenzeichen versehen – durch die schmalen, sich streckenden Vororte und in den Rand der Stadt führte; eigentlich schön zu fahren, aber leider auch mit vielen - den Verkehr zum langsamen Fahren anhaltenden - Schwellen, an denen herunter zu bremsen war. Dann befand ich mich im Straßenwirrwarr Ljubljanas mit all dem, was einem das Radfahren verleiden kann: Industrie- und Dienstleistungsbrachen, miese Radwege, Hektik, Staub; ein Kollege, der einige Zeit in der Stadt gelebt hatte, hatte mich davor gewarnt.


Am hellen Vormittag war die Innenstadt erreicht, im Schritttempo mischte ich mich unter die Touristen und rollte die Straßen und Plätze beidseits des Flusses hoch und runter. Ein anderer Reiseradler kam mir radschiebend entgegen, ignorierte mich aber. Dann eben keinen Gruß (und auch bei der zweiten Begegnung nicht). Pause in einem Café, zwei Fotos, Cappuccino, Cola. Ganz hübsch alles, aber ich fand keinen rechten Grund, hier den restlichen Tag zu verbringen. Also wollte ich weiter.


Noch einmal ein kurzes Hin und Her, dann auf sowas wie eine Ausfallstraße: wieder Schilder, die das Radfahren verboten, stattdessen ein nerviger Radweg auf einem Bürgersteig, der ab und an in einen Parkstreifen mündete, und zwei Mal sollte man ganz von der Straße weg durch Wohnblöcke kreuzen (bis auf dem Bürgersteig wieder irgendwie Platz war?). Eine Autobahnunterführung: hier traf ich den grußlosen Reiseradler wieder, seine Karte studierend. Nun sprach er mich an, nach Postojna wolle er, ob er auf dem richtigen Weg sei? Und hielt mir seine Karte vor's Gesicht. Ich deutete auf mein GPS-Gerät und antwortete, dass dieses das behaupten würde, denn ich wolle auch Richtung Postojna. Aha, dann weiter, ich begann den Radweg zunehmend zu ignorieren, einige Male überholten wir uns noch gegenseitig, und schließlich – jetzt wohl sicher, dass alles stimmte – zog er davon.

Einige Kilometer ging's nun reizlos parallel zur Autobahn, in Vrhnika trennten sich beide Straßen, und hinter dem Ort eine ansteigende Kurve; also musste nach der weitgehend flachen Etappe heute wieder geklettert werden. Auf die nun eigentlich angesagte Mittagspause verzichtete ich, ich hatte ja schon die Rast in Ljubljana, aber – wie ich dann später feststellen musste – war das dann wohl ein Fehler, denn ich kurbelte mich so in einen ziemlichen Tiefpunkt hinein, der mich schließlich an der Erreichbarkeit meines (zu ehrgeizigen?) Reiseziels zweifeln ließ.

Zuerst ging's auf einen Abweg, eine am heimischen PC herausgesuchte Abkürzung führte steil auf einen Hügel und dann in Schotter; der war mir nicht geheuer, so dann wieder runter. Nun im untersten Geschwindigkeitsbereich die breite Straße hoch: nicht wirklich steil, aber lang lang ansteigend und nur selten Schatten und langweilig, mühselig wurde mir das, sehr mühselig: das war genau die Art von Steigung, die ich am allerwenigsten mochte. Ein italienisches Pärchen, das mich unter Zurufen überholt hatte, lockte mich zu einer kurzen Pause, sie waren die Drau aufwärts gefahren und wollten jetzt zurück nach Italien. Ich traf sie bis kurz vor Postojna immer mal wieder: sie fuhren zwar schneller als ich, hielten dafür aber öfters an.

Hinter Logatec begann dann den schönere Teil der Etappe, wegführend von der Hauptstraße, auf schmaleren Wegen, bald verflachend, dann absteigend, durch Dörfer und zwischen Wiesen. Ich traf auf eine Radfahrertruppe, die mit Begleitfahrzeugen unterwegs war: Tour durch Slowenien, stand da drauf, und erreichte schließlich den Punkt, an dem ich mich entscheiden musste: weiter auf meiner Route, da aber dann wie am Tage zuvor riskierend nur schwer oder nur spät (oder möglicherweise keine) Übernachtungsmöglichkeiten zu finden – oder besser sicher nach Postojna. Ich entschied mich für letzteres; da war aber noch ein Berg zu nehmen, das konnte ich an den Serpentinen auf meinem GPS erkennen. Wasser sollte ich auffüllen, klar, und mich vielleicht noch mal irgendwo in ein Café setzen. Das einzige Café aber war besetzt von der Radfaherertruppe, nochmal anhalten, prüfen, okay, dann zum Berg. Und das Wasser? Noch ein weiteres Dorf, Abzweig, hier übernachten? Da gab's wohl nichts. Wasser? Fehlanzeige. Jemand fragen? Keine Traute. Einen halben Liter hatte ich noch, das wird doch wohl reichen, ist doch nicht mehr weit.

Aber schön war das dann: Serpentinen hoch mag ich ja, wenn es denn Ausblicke gibt, (und die gab es). So ging alles gut: am Nachmittag war ich am Ziel, fuhr auf das erstbeste Hotel zu: ein Sporthotel, teuer, aber mit 10%-Ökorabatt für Radreisende. Na dann. Der Ort selber hat nichts, man fährt da wohl nur wegen der Tropfsteinhöhle hin – auf die hatte ich aber keine Lust, als Kind war ich da auch schon mal, das musste nicht wiederholt werden. Abendessen in einem großen Speisesaal, dessen beste Zeiten schon ein wenig her sein mochten: Säulen in der Mitte, Pflanzen und brusthohe Paravents zwischen je zwei Tischen; da sah man nur Haare und Stirn; aus den Fenstern Ausblick auf den Parkplatz. Ich saß am Katzentisch, am Nebentisch ein Gothic-Pärchen, österreichischer Akzent, sie quengelt sich die Speisekarte rauf und runter, ihm ist das alles ein wenig peinlich.

Bleiburg - Litija



Mit dem Passieren des ersten von dann ja immerhin sieben Grenzübergängen (der zugleich der letzte EU- und damit kontrollfreie Übergang meiner Reise war), stellte sich allmählich der in den Wochen des Planens zuvor ersehnte Gefühlsmix von Urlaub, Ungebundensein, Freiheit ein, dem ich mich unterwegs auf dem Rad so gerne hingebe. Alles wollte stimmen: die Sonne über mir tat mir nichts Schlimmes an, der Verkehr hielt sich in Grenzen (und bald führte mich meine Route von der Hauptstraße weg in ein stilles Seitental), letzte Gedanken an etwas Unerledigtes, die mich aufgeschreckt hatten, konnte ich durch einen kurzen Anruf im Büro vertreiben (und danach sollte es tatsächlich keinen Kontakt mehr in den schnöden Arbeitsalltag hinein geben), und ich twitterte eine erste Glücks-Botschaft in die interessierte Welt, mein Rad als Thronwagen lobend (denn auch die Rose vom Wörthersee war vertrieben, Nadoos Straßen, die von den Bergen bis ans Meer reichten, hatten Platz in der Ohrwurmnistecke genommen, und die passten da ja jetzt auch viel besser hinein).

Hier östlich der Karwanken hatte ich eine Strecke ohne alpengemäße Steigungen ausgeguckt, zwar gab es ein wenig zu klettern – vor allem, die beiden Male, die ich auf Nebenstrecken ausgewichen war, aber das war mit einem richtigen Pass, wie er weiter westlich zu nehmen gewesen wäre, nicht zu vergleichen. Höhenmeter sollte es ja noch genug (und mehr als genug) in den nächsten Wochen geben.

Mein Vorsatz besagte, morgens früher als auf bisherigen Reisen, loszufahren (das war mir gelungen, kurz nach Acht hatte ich alles beieinander, konnte das Zimmer zahlen und das Rad bepacken) und dann lieber längere Pausen am Mittag einzulegen um so der ärgsten Sonne auszuweichen – und auch daran hielt ich mich am ersten Tag: irgendwann lag ich zufrieden in einer Schattenecke inmitten von ansteigender Wiese, Tannen, und den ein, zwei Häusern, die den Rand eines Dorfes markierten. Kekse aß ich, trank Wasser, twitterte wieder, denn das machte mir jetzt mehr Spaß als das Fotografieren.


Dann führte mich der Weg zurück an die Hautpstraße - aber hier auf einen etwas abseits liegenden, schattigen Radweg; den nahm ich gerne, nur an den wenigen Querungen war aufzupassen, und nach einer weiteren knappen Stunde war ich in Celje, der erste größere Ort, und auch der Ort, den ich bei meiner Planung als Übernachtungsmöglichkeit ausgesucht hatte.

Zum Übernachten war es aber zu früh, so platzierte ich mich unter einen Sonnenschirm am Rande der für den Verkehr gesperrten Hauptstraße in einem Café und bestellte Cappuccino und Cola, eine Kombination, die auch in den nächsten Wochen prima schmecken würde. Da war nur wenig los, ein paar Jugendliche, Mädchen, Jungen, ein dudelndes Radio aus der Bar. Fotografieren wollte ich immer noch nicht, erst als zwei Touristen auftauchten, die ihre Objektive aufdringlich in alle Richtungen richteten, auf und ab und nach Norden und Süden, da kramte auch ich meinen Apparat raus und machte Fotos. Ich orderte eine zweite Cola.

Zwei Stunden, plante ich, könnte ich heute vielleicht noch radeln. Die Touristen verließen ihr Schlachtfeld, ich zahlte, fuhr ab, aber nicht sofort weiter, sondern einen Laden suchend um Wasser zu kaufen, den fand ich zwischen Plattenbauten; jemand wollte ich mich wohl ermahnen, weil ich mein Rad nicht abschloss, als ich den klein Supermarkt betrat, aber, vergnügt wie ich war, lachte ich nur freundlich und war ja auch gleich wieder draußen. Eincremen in einer schattigen Ecke, dann ging's weiter.

Jetzt war ich an der Savinja, die bald in die Save mündete. Hier war mehr Verkehr, denn das war bereits der Weg nach Ljubljana. In dem nächsten Ort entdeckte ich Hotels, bald darauf aber wies mein Track weg von der Hauptstraße auf eine Nebenstrecke, die dann doch über einen der Berge führte, die sich zu beiden Seiten des mäandernden Flußes erhoben. Sollte ich die nehmen? Okay, dachte ich, dort dann irgendwo zu übernachten ist vielleicht ruhiger als an der Hauptstraße. Vielleicht war ja auch schon was in dem kleinen Ort zu finden, in dem ich abzweigte (und was heißt denn „Zimmer“ auf slowenisch?). War aber nicht, also ging's ans Klettern. Eine Stunde brauchte ich etwa, dann war ich oben. Wenige Minuten später wieder unten.

Nun aber konnte man doch langsam diese zweite Etappe austrudeln lassen. Zurück am Fluss aber erkannte ich bald, dass das nicht so einfach war: Hinweisschilder auf die wenigen Orte zeigten meist in die Berge hoch (und versprachen kein Hotel) oder auf um Bergwerke herum gruppierte Ansiedlungen auf der anderen Flussseite - da wollte ich nichts riskieren und trat lieber weiter, blieb parallel zu Save und Bahn.

Schließlich öffnete sich die Schlucht in ein Tal. Ein Ort an der Straße, der sah nur nach Gartenstadt ohne weitere Infrastruktur aus, aber ein Spielplatz war zu sehen, und auf ihm Mütter mit ihren Kindern. Die sprachen Englisch und erklärten mir dann haargenau, dass ich noch etwa sieben Kilometer zu fahren hätte, dann wäre ich in Litija, durch den Ort sollte ich durch und dann noch einen Kilometer weiter, dann käme ein Unterführung unter der Bahn, und dort würde ich die Pizzeria Kovac finden und da gäbe es Zimmer. Dankbares Winken von der Straße aus, und ich hielt mich an die Beschreibung. Alles stimmte. Ich fand ein Zimmer, duschte, bestellte Bier und eine große sehr fleischlastige Pizza auf einer stillen Terrasse neben der Bahnstrecke. Die Nacht schief ich prima trotz des einen oder anderen dahin ratternden Güterzuges.

Mittwoch, 16. September 2009

Buchbrunn




Sonntag also, als der Nachmittag allmählich die Mittagszeit auflöste, kam der Zug in Klagenfurt an. In Villach waren die meisten Mitreisenden ausgestiegen, mit den übrig gebliebenen hatte ich aus den Fenstern auf den Wörthersee geschaut und mich so auf diese Kindheitserinnerungsetappe eingestimmt; denn natürlich musste ich an seichte 60er-Jahre-Filme mit Roy Black und an Samstag-Abend-Fernsehshows, die regelmäßig bei der Großmutter geschaut wurden (mit ovalen, rosa und weißen mit Schokolade gefüllten Pfefferminzdrops [wie hießen die und gibt’s die heute noch?] und danach brachte sie mich eingeschlafenes Kind, ohne dass ich es bemerkte, in ihr Bett), denken, und im Hirn trällerte „die Rose vom Wörthersee“ enervierend herum. Im „Packerlwagen“ ein anderer Reiseradler, mit beladenen MTB und schweren Rucksack. Der machte sich an eine Klettertour in den Alpen.

Mich empfing mein in den nächsten drei Wochen treuster und erbarmungslosester Begleiter erbarmungslos: eine brütend heiße Sonne an einem himmel- (später dann ja wohl adria-) blauen Himmel, unter dem sich Klagenfurt dumpf und träge wegduckte. Einige Touristen, einige Einheimische, die wohl unbedingt ganz dringend irgendwo hin mussten; denn sonst wären die doch sicherlich in einem kühlen abgedunkelten Wohnzimmer auf einer Couch geblieben oder hätten in einer freundlichen Küche beieinander um einen Tisch herum gesessen. Ich drehte eine erste Runde auf dem Dreirad durch die in Einbahnstraßen fest verschnürte Innercity, sah sowas wie einen zentralen Platz mit Kirche oder Rathaus oder beidem und Touristen, die fotografierten [fotografierende Touristen waren dann weitere erbarmungslose Begleiter in den nächsten Wochen] und beschloss, meine lustlose (denn Klagenfurt riss mich nicht vom Rad) Stadtbesichtigung sein zu lassen und mich auf den getrackten Weg Richtung Osten zu machen.

Richtung Osten: da führte dann eine schattige Straße in ein Wochenend-verödetes Gewerbegebiet und dann war ich irgendwo im Land in einem leichten Auf und Ab mit Ausblicken auf die Karawanken, und dann wieder aufsteigend in einem Wald, überholt von MTB-Fahrern, und runter in ein Dorf hinein und hindurch; Leute schauten mir wohl hinterher, klar, denn runter war ja meist 'pfeil-schnell'. Ein Kribbeln, denn zu gern hätte ich irgendeine vergrabene Erinnerung von einem überraschenden Anblick in eine schöne Helligkeit hinein befeuern lassen, aber das geschah gar nicht, nur Zweifel regten sich bei dieser oder jener Fernsicht: „diese Burg dahinten, da wart ihr doch bestimmt mal? - Ja mag sein, die Aussicht kommt mir bekannt vor, aber vielleicht auch nicht.“ Und irgendwo kläffte ein Hund hinter mir her.

Dann ging die Straße in einen schmalen Weg über, und ich zweifelte an meinem vorgegebenen Track, aber alles stimmte; ich fuhr auf den Klopeiner See zu, erster Erinnerungspunkt. Dort hatten wir Kinder in unseren Ferien (drei vier mal waren wir wohl in Kärnten) gebadet, war man von dem Steg ins Wasser gesprungen, hatte geplanscht (welches Glück, wenn eine Luftmatratze dabei war) oder schwamm gar, hatte mich mein Bruder einmal fast in die Tiefe gezogen, panisch, bis ein Mann, der das beobachtete, entschlossen hineinsprang um meinen untergehenden Bruder hochzuziehen, mich von meiner Panik zu befreien und uns Geschwister zu den erst ahnungslosen, dann bestürzten und schließlich dankbaren Eltern zurückzubringen. Gegenüber war wohl die hüglige Uferseite, und da fuhr ich jetzt: Trubel. Da wird also immer noch gebadet, geschwommen, untergegangen, gerettet. Autos, Campingplätze, Schwimmbäder, Autos, Spaßfahrräder, Autos. Da also schnell weiter; einen Platz zum Anhalten und Besinnen fand sich nicht.


Weiter aber hieß: in das hinein, was ich tatsächlich wiedererkannte: westlich der Straße ein sanfter bewaldeter Hügelrücken (Blaubeerensammeln und irgendwer, das weiß ich noch, sang „Ja wir san mit dem Radl da“!) und östlich Buchbrunn,

das irgendwie schiefe, weiße, aber so schön-schlichte Kirchlein mit dem Wetterhahn auf dem Turm und Schwalben, die abends aufgreregt drum rum oder hoch drüber flatterten [und jemand erklärte anhand der Schwalbenflughöhe das Wetter des nächsten Tages]. Und bei Dunkelheit Grillengezirpe, denn die Kirche stand nicht inmitten eines Dorfes umgeben von Häusern und Straßen, Bäumen und Bänken und einem Kirchhof, sondern inmitten des kaum vorhandenen Dorfes und deshalb auf drei Seiten umgeben von Feldern und nur auf einer Seite, und da war auch nur eine Stichstraße, die bald in einen schottrigen Feldweg überging, zwei Höfe, und der eine der beiden, der gehörte „dem Bauern“, wie mein Vater sagte, und bei „dem Bauern“ machten wir regelmäßig drei Wochen lang Sommerurlaub. Da stand ich jetzt mit meinem Trike und fotografierte erst die Kirche, dann – etwas verschämt-versteckt - den Hof, der viel kleiner, als meine Erinnerung vorher behauptet hatte, und deshalb ja vielleicht gar kein richtiger Hof war. Aber sonst schien alles zu passen. Ob die noch an Urlauber vermieten? Es sah nicht so aus. Ob da noch ein Bauer lebt? Auch danach sah es nicht aus. Da hatten wir die Mondlandung geguckt, bekamen Windpocken, erlebten wir drei Wochen lang die Mittagslangeweile, wenn die Eltern sich hingelegt hatten (so wir nicht im Audi in Kärnten oder Slowenien und einmal sogar in Italien, in Grado [Gott, war das toll, wieso konnte man denn da nicht den ganzen Urlaub verbringen?] unterwegs waren), rochen wir Heu und Tiere in Ställen und Misthaufen, tranken die Erwachsenen abends Slivowitz.

Daran dachte ich und schaute in die Felder, den Weg entlang, denn auf dem hatte ich mich einmal wegen irgendetwas wütend und verletzt aufgemacht um wegzugehen und war dann natürlich doch umgekehrt, rechtzeitig, noch ehe die Eltern sich an den nachmittäglichen Kaffeetisch gesetzt hatten. Und wenn ich nicht umgekehrt wäre? Lust hatte ich, jetzt diesen Weg nach Eberndorf, der dritten Station meines Erinnerungstrips, zu nehmen, aber Staub und Schotter hielten mich ab.

Stattdessen wieder auf die Hauptstraße, und da leitete mich ein Hinweisschild doch in die Felder, auf eine Fahrradroute nämlich, die dort asphaltiert angelegt worden ist. Ich folgte ihr, fuhr auf das weiße langgestreckte Stift zu, und war fix da. Woran ich mich genau erinnerte? An eine Metzgerei seltsamerweise und seltsamerweise gab's die immer noch, nur heute am Sonntag geschlossen, was wohl ein Manko in meiner Planung war, denn jetzt hatte ich Lust hineinzugehen und nach einer Wurst zu verlangen. So beschloss ich nur es nun gut sein zu lassen mit dem Kram von vor 40 Jahren; hier – hatte ich bei der Planung gedacht - würde ich mir ein Zimmer suchen, aber ich verließ Eberndorf, weiter in süd-östlicher Richtung, folgte dann dem Grenzverlauf, in dessen Nähe die Ortsschilder auch den slowenischen Namen auswiesen, gegen den Willen der Haider-Kärntner, wie ja bekannt ist. Wenig Verkehr hier, in einem Ort wurden die Reste eines Volksfestes, Bänke, Tische und Bühne, zusammengetragen und weggeräumt. Langsam hielt ich Ausschau nach einer Unterkunft, fand aber nichts, fuhr stattdessen weiter, erst dem Loibach dann dem St. Margarethner Bach entlang, bis schließlich feststand, dass ich nun nur noch einen Katzensprung vom ehemaligen Grenzübergang nach Slowenien entfernt war. Da wollte ich aber erst am nächsten Tag hin, also entschied ich mich nach Bleiburg zu fahren und dort zu übernachten.

Drei Überraschungen gab's in dem Hotel: es war freundlich und günstig, auf dem Zimmer fand ich die Mappe eines Künstlers, der so hieß wie „der Bauer“ damals, und im Treppenhaus entdeckte ich unter allerlei Fotos von mehr oder weniger prominenten Besuchern auch eines vom Artmann (und beim zweiten Hinschauen, nachdem ich mit der Wirtin drüber gesprochen und sie mich darauf hingewiesen hatte, auch eines vom Handke und vom Krassnitzer, dem „Schauspieler, Sie wissen schon“). Der Artmann aber hatte hier mal gelesen - in dem großen Saal, in dem jetzt mein Trike stand, vor vielen Jahren, da führte die Schwiegermutter noch das Haus. Auch das erfuhr ich von der Wirtin. Ich schlenderte die Straße rauf und runter, schaute in Schaufenster kleiner Galerien und netter Kunstgewerbeläden und suchte mir einen Platz auf der Straße (denn der Abend war so mild wie die Abende vor 40 Jahren) vor dem Hotelrestaurant. Dort gebrautes Bier gab es und ein lecker Abendessen. Junge Leute, die nach und nach auf Fahrrädern ankamen, teilten einen großen Tisch, und einer von ihnen erzählte von Paris, denn da lebte er nun. Das gefiel mir alles sehr gut.

Donnerstag, 9. Juli 2009

Lektüre nun: Matthias Frings über Schernikau, sich selbst und das West-Berlin der 80er: 'Der letzte Kommunist'. Dazu dann demnächst, wenn ich denn Lust und Zeit finde, zwei, drei Bemerkungen.

Hamburg - Berlin

Schließlich nahm ich mir die Hamburg-Berlin-Fahrt für den 4. Juli vor. Ich war mal wieder für drei Nächte in Hamburg geblieben und hatte mir in der Pension in St. Georg, die ich bei meiner letzten Übernachtung im März entdeckt hatte, ein Zimmer (ein Zimmer mit Balkon zur Langen Reihe hin) genommen, weil zum einen der alljährliche Betriebsausflug mit anschließendem Grillen mit den Kollegen anstand und weil ich mich zum zweiten endlich mal um die Wohnung der verstorbenen Tante kümmern wollte. Zu Letzterem kam ich aber nicht, die Hausverwalung hatte das Schloss getauscht, so dass ich zuerst nicht hineinkam, und dann, als ich den Schlüssel hatte, gleich wieder geflohen bin, so schlimm war das alles. Nun muss ich also am Sonnabend wieder hin.

Das waren dann schöne Sommerabende und die Lange Reihe brummte auf's Angenehmste. Ich saß an einem Abend im -. oder besser - vor dem Gnosa, an dem Freitagabend vor der Tour vor dem Grünberg. Ich war mal wieder im Strictly, ignorierte aber sonst die Szene, und mochte diesmal ausnahmsweise Hamburg, zumindest dieses leichte St.-Georg-Sommerabend-Hamburg. Mit dem Rad fuhr ich ins Büro nach Harburg, aber die Fahrerei durch Hammerbrook und über die Elbbrücken nervte so wie früher (erst ab/bis Veddel ist es dann okay). Und auf einer Rückfahrt von der Arbeit hatte ich zwei Liegeradler aus Wien getroffen, die auf dem Weg nach Norwegen waren. Schön!

Sonnig waren die Tage, aber dann wettervorhersagte es für Sonnabend eine leichte Abkühlung, Wolken und Schauer; okay. Um vier Uhr wollte ich aufstehen, das Handy stellte ich dann nach den Grünberg-Bieren auf 4:20h. Es dämmerte gerade, etwas flau war mir im Magen und ich krimste meinen Kram zusammen. In der Hotel-Pension durfte man sich Wasser aufkochen und sich beim Nescafé bedienen. Das tat ich, saß dann noch einmal (neben dem Rad) auf dem Balkon, schaute einigen Nachtgängern hinterher, dachte dabei an frühere Zeiten, als ich zu dieser Stunde hier mit irgendjemandem oder meist doch alleine unterwegs war [Peter fiel mir natürlich ein, der in der Brennerstraße gewohnt hatte], und aß eine Schrippe mit so einer Minisalami. Eine zweite Schrippe blieb als Verpflegung, Bananen hatte ich, zwei Äpfel, Kekse und, weil es doch sehr warm war, zwei Wasserflaschen, alles besorgt am Abend vorher.

Nach Fünf, das Navi zeigte 5:23h an, ging es dann los. Es war wolkig, aber überhaupt nicht (morgen-)kühl, der Wind blies aus Westen (das tat er dann den ganzen Tag über) und ich fuhr - vorsichtig, da ich neue Sandalen hatte und erst überprüfen wollte, ob ich mich mit denen problemlos ausklicken konnte - los. Gleich der Beginn war eine Überraschung: es ging durch Rothenburgsort (naja, das war keine Überraschung) über Billwerder an der Dove-Elbe entlang über Alten- und Neuengamme raus aus Hamburg. Das kannte ich noch gar nicht, schön war es dort zu fahren, zumindest jetzt so früh am Morgen.



Vorgenommen hatte ich mir einen 20er-Schnitt - wollte also die Tour in 15 Stunden schaffen, war aber dann wegen der Hitze in den vergangenen Tage schon skeptsich geworden. Jedenfalls änderte dies meine Strategie; hatte ich mir bei der Berlin-Hamburg-Tour im letzten Jahr die Fahrt in quadratisch-praktische 100-KM-Blöcke eingeteilt und mir längere Pausen - sozusagen als Belohnung - zwischen diesen Blöcken versprochen, auf die ich dann hinradelte, achtete ich nun mehr auf Geschwindigkeit und den Stundenschnitt, rechnete Zeiten nach und kalkulierte so, ob ich einen, und falls ja wieviel, Vorsprung rausgefahren hatte, den ich in eine Pause investieren konnte.

Gleich in der ersten Stunde blieb mein Schnitt knapp unter dem vorgenommenen, aber das schob ich auf den langsamen Start in Hamburg mit einer Reihe von Ampelstopps. Stimmte dann auch, sobald die Innercity verlassen war, ging es besser.

Bis Geesthacht blieb ich nördlich, dann wechselte ich die Elbseite und schaute vom Elbuferweg aus auf das wellige Grün der Lauenburger Berge. Im Rückspiegel bemerkte ich eine ganze Weile lang dunkle Wolken, aber diese blieben in respektvollem Abstand hinter mir, bis sie schließlich ganz verschwunden waren und der Sonne, die dann - ach, heute mir gar nicht zur Freude - den Rest des Tages blieb, Platz machten. Krümmel erhob sich massiv gegenüber von Tespe, einige Stunden später sollte dann da wegen eines erneuten Störfalls, der zur Abschaltung und einem Stromabfall führte, der schließlich unter anderem die Server in unserem Rechenzentrum in die Knie zwang, die Hölle los sein. Davon wusste ich noch nichts, dachte aber mit ein wenig Grauen an die - so hieß es doch immer: ganz unerklärliche - Häufung von Leukämieerkrankungen in der unmittelbaren Nähe (zu der ja dann wohl auch das südliche Elbufer gehörte).

Warm war es, und ich ahnte inzwischen, dass ein Trinkschlauch sehr helfen könnte. Den hatte ich nicht mehr besorgt, die erste Trinkpause hatte ich bereits hinter mir, der Schnitt stimmte aber, befriedigt registrierte ich, wenn die Geschwindigkeitsanzeige des GPS-Geräts die 30-KM-Marke überschritt.

Die Fähre in Bleckede nach gut 70 Kilometern war so was wie ein erstes Zwischenziel (zwangsläufig, weitere hatte ich ja erstmal nicht), Zeit für ein paar Schritte und eine Banane. Gemütlich tuckerte das Schiff vom anderen Ufer zu mir und den wenigen anderen Wartenden herüber. Ich beschloss bei nächster Gelegenheit eine Kaffe-Pause einzulegen - der eine Nesacafé war für mich als Kaffee-Süchtigen doch zu wenig. Auf der nördlichen Elbseite war dann der Elbuferradweg wegen Bauarbeiten (da wurde doch schon letztes Jahr dran gebaut?) gesperrt. Ich folgte dem Umleitungszeichen und blieb auf der Landstraße, weiter ging es dann auf der ursprünglichen (und von nun an auch: letztjährigen) Route nach und durch Amt Neuhaus.

Erste Sonnabend-vormittägliche Geschäftigkeit, etwas mehr Verkehr (aber von einem störenden Maß weit entfernt), die hier meist linksseitigen Radwege ignorierte ich durchgehend, aber niemand bedrängte mich deswegen. In Kaarssen passierte ich einen "Bikertreff" mit einer Kuchen annoncierenden Kreidetafel davor, bemerkte die Wirtin, die gerade die Stühle mit Kissen bewarf, und ich bremste, hielt und schob das Rad dem kläffenden Hündchen entgegen. Ob es schon Kaffee und Kuchen gäbe? Ja klar, prima, einen Milchkaffee und, bitte was für Kuchen ... genau, ein Stück Erdbeer-Rhabarber-Kuchen mit Sahne bitte. Danke. Bedient wurde ich dann von einem Jungen, der vielleicht der Sohn war und sich einen hübschen spöttischen Zug um die Lippen leisten konnte. Die Wirtin stieg in ihren (klar: schwarzen und glasverdunkelten) Golf und fuhr davon. Der Kuchen war noch warm und schmeckte prima. Fast fünf Stunden war ich bereits unterwegs, ein Drittel hatte ich geschafft. Aber warm blieb es, der Wind blies von hinten, das brachte beim Fahren keine Abkühlung, die kurzen Pausen zum Trinken mussten immer öfters eingelegt werden und in dem Café musste ich beide Wasserflaschen nachfüllen.

Weiter ging es durch Dömitz (wo ich im letzten Jahr das einzige Mal eingekehrt war, ich erkannte das Eiscafé wieder), die Pausenzeit war bald wieder eingeholt, so dass der Schnitt stimmte. Nun weiter auf der Landstraße durch ein längeres Waldstück hindurch, hier hätte man den Radweg vielleicht nehmen können, aber ich folgte der Fahrbahn. Die Wolken hatten sich endgültig verzogen, aber der Wald schützte vor der Sonne, doch spätestens in den Wittenberger Dienstleistungsbrachen war klar, dass es von jetzt an beschwerlicher, vielleicht viel beschwerlicher werden würde. Und hinter Wittenberge dann, zwischen Kathane und Elbe an einem grün-veralgten Zuflüsschen, zwang ich mich, Sonnencreme auf die verschwitzte Haut aufzutragen und die Kappe aufzusetzen - der Kopf fühlte sich ja bereits ganz erhitzt an. Eine Wasserflasche war wieder leer, und in dieser Pause beschlich mich das erste Mal die Ahnung, dass ich den Schnitt nicht halten würde, wenn ich es denn überhaupt schaffte. Sonne und Wärme erwiesen sich als Hauptgegner. Hier irgendwo war die Weghälte erreicht.

Ich stieg wieder auf's Rad. Hatte ich nicht letztes Jahr genau auf diesem Abschnitt bloß eben in umgekehrter Richtung ebenso gezweifelt? Damals fing es hier zu regnen an und ich kämpfte gegen den böigen Wind; wenn ich jetzt hätte wählen sollen, ich hätte nicht gewusst, was.

Die Prignitz hat sich wohl als Pferdegegend profiliert. Kaum ein Dorf ohne Weiden, und auf den Straßen sind die großen Wagen mit den Pferdeanhängern unterwegs, aus denen es bisweilen empört herauswiehert. In den Fonds Frauen und ihre Töchter und manchmal erkennt man bei allen den gleichen Pferdezopf. Die Kennzeichen aber aus ganz Nord-, Ost- und Mitteldeutschland. Irgendwo wohl auch sowas wie ein Turnier. In Bad Wilsnack gebe ich mein 20-KM-Schnitt-Ziel (bis hierhin hatte ich den gehalten) auf und kehre erneut ein (große Spezi, Milchkaffee und Käsekirschkuchen, der schmeckt wieder wie frisch aus dem Ofen). Das Café gehört zu einem Trödelladen (oder war es umgekehrt?), man wird aufgefordert, in den Laden zu gehen und Bescheid zu geben, dass man bewirtet werden möchte.

Nebenan ein Grieche, die zwei Tische auf dem Gehsteig alle besetzt und die Männer trinken Bier; das wär's doch jetzt! Träumen, ja bitte, ich bemerke wie mein Hirn nachgeben möchte, die Augen wollen zufallen, Müdigkeit, Bilder von einem See, an dem ich mein Handtuch ausbreiten könnte und dann ein, zwei Stunden einfach schlafen, umgeben von so einem matten Juli-Nachmittags-Sound, das wäre ja noch besser als das Bier, butterweich fühlen sich diese kurzen Wachtraumflashs an, ich könnte wohl sofort auf den Stelle wegdösen.

Ich schrecke hoch, versuche herauszufinden, ob es überhaupt noch okay ist weiterzufahren, wenn ich zum einen Probleme mit der Wärme habe, sich mein Körper zum anderen so müde und schwer anfühlt. In Bad Wilsnack hält doch der RE, nicht wahr? Ja.

Der hält aber auch noch woanders. Tatsächlich führt meine Route von nun an praktisch parallel zur Berlin-Hamburger-Bahn, ich kann also erst mal weiterradeln, und, wenn ich feststelle, dass es wirklich nicht mehr geht, dann immer noch irgendwo ... okay, aber erst mal Milchkaffee, Spezi und Kuchen geniessen und abwarten, ob die Müdigkeit vorübergeht. Und kein Fahren mehr gegen die Uhr. Gut!

Eine dreiviertel Stunde verbringe ich so in dem Café. Die Wirtin füllt mir das Wasser auf. Wo es denn noch hingehen soll, fragt sie, Berlin, antworte ich. Oh, sagt Sie, da müssen Sie aber los. Stimmt! Das mache ich dann auch und wenig später erkenne ich den Havelberger Dom, nehme die namensgebende Anhöhe und durchquere das Städtchen. Reiseradler, die wohl auf dem Elberadweg unterwegs sind, kommen mir entegen. Von denen haben manche auch ganz rote Gesichter. Man grüßt sich.

Jetzt im Havelland fährt es sich entspannter, ganz gut, dass der Druck weg ist; eigentlich stimmt das Tempo wieder, aber ich achte nun nicht mehr auf den Schnitt; in den Dörfern muss ich wegen des Kopfsteinpflasters runterbremsen, und in irgendeinem dieser Dörfer verliere ich die eine der beiden Wasserflaschen, natürlich die noch volle. Das bemerke ich aber erst, als ich kurz vor Rhinow an der Havelbrücke zum Austreten anhalte. Dumm, also muss unbedingt Wasser besorgt werden. Gelegenheit dazu bietet ein Gasthof mit Otto-Lilienthal-Gedenk-Saal (der stammt wohl aus dieser Ecke) in Rhinow. Und da dort ein schöner schattiger Innenhof lockt, und ich eigentlich nicht ohne Verzehr nur um Wasser schnorren möchte, kehre ich zum dritten Male ein. Apfelschorle und einen Salat mit gebackenen Feta gibt es. Die Wirtin ist recht gesprächig, für das Land gäbe es eine Sturmwarnung, aber es sei doch gar nichts zu merken, erzählt sie. Hmm, frage ich mich, doch besser in den Zug? Das letzte Mal aber, erzählt sie weiter, war es auch so, da war dann nur die Stadt Brandenburg betroffen, aber in Rhinow war nichts. Tatsächlich tobte es diesmal im Osten, in der Frankfurter Gegend, lese ich am nächsten Tag in der Zeitung. Dass ich noch bis Berlin wolle, mag sie kaum glauben, und als ich erzähle, dass ich am Morgen in Hamburg gestartet bin, schaut sie mich mit so ungläubigem Blick an, als zweifle sie an meiner Zurechnungsfähigkeit. Auch, dass es nur noch 80 KM bis Berlin sein sollen, bestreitet sie vehement (hat sie vielleicht 18 Kilometer verstanden? Denn wenig später in Friesack an der B5 weist ein Schild 72 KM aus).

Bis Berlin geht es nun - von den kurzen Trink- und Pinkelpausen abgesehen - in einem Zug durch. Die Müdigkeit ist weg, der Körper muckt auch nicht weiter auf, nur in den Zehen kribbelt es manchmal; die fühlen sich dann ganz heiß an, ein ander mal wie eingeschlafen, ich sollte die Position der Cleats doch mal verstellen, vielleicht hilft das.

In Friesack überquere ich die Bahn, ich vergleiche mit der vorjährigen Tour, da waren die letzten 60, 70 Kilometer die anstrenegendsten, von Winsen an schlich ich nur noch dahin. Das ist dieses Jahr anders, wenn ich denn fahre, verliere ich nicht an Tempo, wird wohl dem Rückenwind geschuldet sein, nur die Pausen bremsen mich aus. Als das erste Hinweisschild auf Nauen auftaucht, stellt sich die Gewissheit ein, es bald geschafft zu haben. Das ist ja schon beinahe Heimat.

Zuvor kommt aber noch der Prinzendamm; ein Weg aus kaum miteinander verbundenen Betonplatten, in jeder ein Loch, quer durch den Wald. Langsam sollte ich hier fahren, aber das zieht allerlei Getier auf mich, Fliegen und Bremsen und Mücken und anderes, ziemlich unangenehm, also bin ich unvernünftig schnell, so ab 18 KM/h kommen die nicht mehr mit. Das Ende der Betonplattem bemerke ich so zu spät: das ist dann ein sandig-steiniges Loch, so grau wie der Beton zuvor, ich bremse runter, schaffe es aber nicht mehr, rechtzeitig auszuklicken und rutsche so in die Botanik, begleitet von einem hässlichen Aufjaulen aus der Schaltwerkrichtung am Hinterrad. Das, denke ich, war sowieso schon verbogen und sollte getauscht werden. Hoffentlich hat es nichts Schlimmes abbekommen.

Hat es nicht. Ich klopfe notdürftig den Dreck ab, steige auf, richte den ein wenig verbogenen Lenker und fahre weiter.

Schönwalde Siedlung ist der letzte Ort in Brandenburg, am Berliner Ortsschild recke ich die Faust, toll, finde ich. Nun geht es durch den Spandauer Forst in die Stadt hinein, die langsamste Etappe meiner Tagestour. Kurz nach Zehn bin ich vor der Roten Insel, ziehe noch Geld am Automaten, zehn nach zehn schalte ich nach 314 Kilometern vor meiner Hautür das GPS-Gerät aus. Ich dusche und dusche und dusche .. und dann laufe ich - oder besser: wackle ich - zur Jansen Bar auf ein doch wohl wohlverdientes Bier hin und um mich ein wenig feiern zu lassen. Klappt dann auch. Schön war's. Wann geht's wieder auf Tour?