Donnerstag, 9. Juli 2009

Lektüre nun: Matthias Frings über Schernikau, sich selbst und das West-Berlin der 80er: 'Der letzte Kommunist'. Dazu dann demnächst, wenn ich denn Lust und Zeit finde, zwei, drei Bemerkungen.

Hamburg - Berlin

Schließlich nahm ich mir die Hamburg-Berlin-Fahrt für den 4. Juli vor. Ich war mal wieder für drei Nächte in Hamburg geblieben und hatte mir in der Pension in St. Georg, die ich bei meiner letzten Übernachtung im März entdeckt hatte, ein Zimmer (ein Zimmer mit Balkon zur Langen Reihe hin) genommen, weil zum einen der alljährliche Betriebsausflug mit anschließendem Grillen mit den Kollegen anstand und weil ich mich zum zweiten endlich mal um die Wohnung der verstorbenen Tante kümmern wollte. Zu Letzterem kam ich aber nicht, die Hausverwalung hatte das Schloss getauscht, so dass ich zuerst nicht hineinkam, und dann, als ich den Schlüssel hatte, gleich wieder geflohen bin, so schlimm war das alles. Nun muss ich also am Sonnabend wieder hin.

Das waren dann schöne Sommerabende und die Lange Reihe brummte auf's Angenehmste. Ich saß an einem Abend im -. oder besser - vor dem Gnosa, an dem Freitagabend vor der Tour vor dem Grünberg. Ich war mal wieder im Strictly, ignorierte aber sonst die Szene, und mochte diesmal ausnahmsweise Hamburg, zumindest dieses leichte St.-Georg-Sommerabend-Hamburg. Mit dem Rad fuhr ich ins Büro nach Harburg, aber die Fahrerei durch Hammerbrook und über die Elbbrücken nervte so wie früher (erst ab/bis Veddel ist es dann okay). Und auf einer Rückfahrt von der Arbeit hatte ich zwei Liegeradler aus Wien getroffen, die auf dem Weg nach Norwegen waren. Schön!

Sonnig waren die Tage, aber dann wettervorhersagte es für Sonnabend eine leichte Abkühlung, Wolken und Schauer; okay. Um vier Uhr wollte ich aufstehen, das Handy stellte ich dann nach den Grünberg-Bieren auf 4:20h. Es dämmerte gerade, etwas flau war mir im Magen und ich krimste meinen Kram zusammen. In der Hotel-Pension durfte man sich Wasser aufkochen und sich beim Nescafé bedienen. Das tat ich, saß dann noch einmal (neben dem Rad) auf dem Balkon, schaute einigen Nachtgängern hinterher, dachte dabei an frühere Zeiten, als ich zu dieser Stunde hier mit irgendjemandem oder meist doch alleine unterwegs war [Peter fiel mir natürlich ein, der in der Brennerstraße gewohnt hatte], und aß eine Schrippe mit so einer Minisalami. Eine zweite Schrippe blieb als Verpflegung, Bananen hatte ich, zwei Äpfel, Kekse und, weil es doch sehr warm war, zwei Wasserflaschen, alles besorgt am Abend vorher.

Nach Fünf, das Navi zeigte 5:23h an, ging es dann los. Es war wolkig, aber überhaupt nicht (morgen-)kühl, der Wind blies aus Westen (das tat er dann den ganzen Tag über) und ich fuhr - vorsichtig, da ich neue Sandalen hatte und erst überprüfen wollte, ob ich mich mit denen problemlos ausklicken konnte - los. Gleich der Beginn war eine Überraschung: es ging durch Rothenburgsort (naja, das war keine Überraschung) über Billwerder an der Dove-Elbe entlang über Alten- und Neuengamme raus aus Hamburg. Das kannte ich noch gar nicht, schön war es dort zu fahren, zumindest jetzt so früh am Morgen.



Vorgenommen hatte ich mir einen 20er-Schnitt - wollte also die Tour in 15 Stunden schaffen, war aber dann wegen der Hitze in den vergangenen Tage schon skeptsich geworden. Jedenfalls änderte dies meine Strategie; hatte ich mir bei der Berlin-Hamburg-Tour im letzten Jahr die Fahrt in quadratisch-praktische 100-KM-Blöcke eingeteilt und mir längere Pausen - sozusagen als Belohnung - zwischen diesen Blöcken versprochen, auf die ich dann hinradelte, achtete ich nun mehr auf Geschwindigkeit und den Stundenschnitt, rechnete Zeiten nach und kalkulierte so, ob ich einen, und falls ja wieviel, Vorsprung rausgefahren hatte, den ich in eine Pause investieren konnte.

Gleich in der ersten Stunde blieb mein Schnitt knapp unter dem vorgenommenen, aber das schob ich auf den langsamen Start in Hamburg mit einer Reihe von Ampelstopps. Stimmte dann auch, sobald die Innercity verlassen war, ging es besser.

Bis Geesthacht blieb ich nördlich, dann wechselte ich die Elbseite und schaute vom Elbuferweg aus auf das wellige Grün der Lauenburger Berge. Im Rückspiegel bemerkte ich eine ganze Weile lang dunkle Wolken, aber diese blieben in respektvollem Abstand hinter mir, bis sie schließlich ganz verschwunden waren und der Sonne, die dann - ach, heute mir gar nicht zur Freude - den Rest des Tages blieb, Platz machten. Krümmel erhob sich massiv gegenüber von Tespe, einige Stunden später sollte dann da wegen eines erneuten Störfalls, der zur Abschaltung und einem Stromabfall führte, der schließlich unter anderem die Server in unserem Rechenzentrum in die Knie zwang, die Hölle los sein. Davon wusste ich noch nichts, dachte aber mit ein wenig Grauen an die - so hieß es doch immer: ganz unerklärliche - Häufung von Leukämieerkrankungen in der unmittelbaren Nähe (zu der ja dann wohl auch das südliche Elbufer gehörte).

Warm war es, und ich ahnte inzwischen, dass ein Trinkschlauch sehr helfen könnte. Den hatte ich nicht mehr besorgt, die erste Trinkpause hatte ich bereits hinter mir, der Schnitt stimmte aber, befriedigt registrierte ich, wenn die Geschwindigkeitsanzeige des GPS-Geräts die 30-KM-Marke überschritt.

Die Fähre in Bleckede nach gut 70 Kilometern war so was wie ein erstes Zwischenziel (zwangsläufig, weitere hatte ich ja erstmal nicht), Zeit für ein paar Schritte und eine Banane. Gemütlich tuckerte das Schiff vom anderen Ufer zu mir und den wenigen anderen Wartenden herüber. Ich beschloss bei nächster Gelegenheit eine Kaffe-Pause einzulegen - der eine Nesacafé war für mich als Kaffee-Süchtigen doch zu wenig. Auf der nördlichen Elbseite war dann der Elbuferradweg wegen Bauarbeiten (da wurde doch schon letztes Jahr dran gebaut?) gesperrt. Ich folgte dem Umleitungszeichen und blieb auf der Landstraße, weiter ging es dann auf der ursprünglichen (und von nun an auch: letztjährigen) Route nach und durch Amt Neuhaus.

Erste Sonnabend-vormittägliche Geschäftigkeit, etwas mehr Verkehr (aber von einem störenden Maß weit entfernt), die hier meist linksseitigen Radwege ignorierte ich durchgehend, aber niemand bedrängte mich deswegen. In Kaarssen passierte ich einen "Bikertreff" mit einer Kuchen annoncierenden Kreidetafel davor, bemerkte die Wirtin, die gerade die Stühle mit Kissen bewarf, und ich bremste, hielt und schob das Rad dem kläffenden Hündchen entgegen. Ob es schon Kaffee und Kuchen gäbe? Ja klar, prima, einen Milchkaffee und, bitte was für Kuchen ... genau, ein Stück Erdbeer-Rhabarber-Kuchen mit Sahne bitte. Danke. Bedient wurde ich dann von einem Jungen, der vielleicht der Sohn war und sich einen hübschen spöttischen Zug um die Lippen leisten konnte. Die Wirtin stieg in ihren (klar: schwarzen und glasverdunkelten) Golf und fuhr davon. Der Kuchen war noch warm und schmeckte prima. Fast fünf Stunden war ich bereits unterwegs, ein Drittel hatte ich geschafft. Aber warm blieb es, der Wind blies von hinten, das brachte beim Fahren keine Abkühlung, die kurzen Pausen zum Trinken mussten immer öfters eingelegt werden und in dem Café musste ich beide Wasserflaschen nachfüllen.

Weiter ging es durch Dömitz (wo ich im letzten Jahr das einzige Mal eingekehrt war, ich erkannte das Eiscafé wieder), die Pausenzeit war bald wieder eingeholt, so dass der Schnitt stimmte. Nun weiter auf der Landstraße durch ein längeres Waldstück hindurch, hier hätte man den Radweg vielleicht nehmen können, aber ich folgte der Fahrbahn. Die Wolken hatten sich endgültig verzogen, aber der Wald schützte vor der Sonne, doch spätestens in den Wittenberger Dienstleistungsbrachen war klar, dass es von jetzt an beschwerlicher, vielleicht viel beschwerlicher werden würde. Und hinter Wittenberge dann, zwischen Kathane und Elbe an einem grün-veralgten Zuflüsschen, zwang ich mich, Sonnencreme auf die verschwitzte Haut aufzutragen und die Kappe aufzusetzen - der Kopf fühlte sich ja bereits ganz erhitzt an. Eine Wasserflasche war wieder leer, und in dieser Pause beschlich mich das erste Mal die Ahnung, dass ich den Schnitt nicht halten würde, wenn ich es denn überhaupt schaffte. Sonne und Wärme erwiesen sich als Hauptgegner. Hier irgendwo war die Weghälte erreicht.

Ich stieg wieder auf's Rad. Hatte ich nicht letztes Jahr genau auf diesem Abschnitt bloß eben in umgekehrter Richtung ebenso gezweifelt? Damals fing es hier zu regnen an und ich kämpfte gegen den böigen Wind; wenn ich jetzt hätte wählen sollen, ich hätte nicht gewusst, was.

Die Prignitz hat sich wohl als Pferdegegend profiliert. Kaum ein Dorf ohne Weiden, und auf den Straßen sind die großen Wagen mit den Pferdeanhängern unterwegs, aus denen es bisweilen empört herauswiehert. In den Fonds Frauen und ihre Töchter und manchmal erkennt man bei allen den gleichen Pferdezopf. Die Kennzeichen aber aus ganz Nord-, Ost- und Mitteldeutschland. Irgendwo wohl auch sowas wie ein Turnier. In Bad Wilsnack gebe ich mein 20-KM-Schnitt-Ziel (bis hierhin hatte ich den gehalten) auf und kehre erneut ein (große Spezi, Milchkaffee und Käsekirschkuchen, der schmeckt wieder wie frisch aus dem Ofen). Das Café gehört zu einem Trödelladen (oder war es umgekehrt?), man wird aufgefordert, in den Laden zu gehen und Bescheid zu geben, dass man bewirtet werden möchte.

Nebenan ein Grieche, die zwei Tische auf dem Gehsteig alle besetzt und die Männer trinken Bier; das wär's doch jetzt! Träumen, ja bitte, ich bemerke wie mein Hirn nachgeben möchte, die Augen wollen zufallen, Müdigkeit, Bilder von einem See, an dem ich mein Handtuch ausbreiten könnte und dann ein, zwei Stunden einfach schlafen, umgeben von so einem matten Juli-Nachmittags-Sound, das wäre ja noch besser als das Bier, butterweich fühlen sich diese kurzen Wachtraumflashs an, ich könnte wohl sofort auf den Stelle wegdösen.

Ich schrecke hoch, versuche herauszufinden, ob es überhaupt noch okay ist weiterzufahren, wenn ich zum einen Probleme mit der Wärme habe, sich mein Körper zum anderen so müde und schwer anfühlt. In Bad Wilsnack hält doch der RE, nicht wahr? Ja.

Der hält aber auch noch woanders. Tatsächlich führt meine Route von nun an praktisch parallel zur Berlin-Hamburger-Bahn, ich kann also erst mal weiterradeln, und, wenn ich feststelle, dass es wirklich nicht mehr geht, dann immer noch irgendwo ... okay, aber erst mal Milchkaffee, Spezi und Kuchen geniessen und abwarten, ob die Müdigkeit vorübergeht. Und kein Fahren mehr gegen die Uhr. Gut!

Eine dreiviertel Stunde verbringe ich so in dem Café. Die Wirtin füllt mir das Wasser auf. Wo es denn noch hingehen soll, fragt sie, Berlin, antworte ich. Oh, sagt Sie, da müssen Sie aber los. Stimmt! Das mache ich dann auch und wenig später erkenne ich den Havelberger Dom, nehme die namensgebende Anhöhe und durchquere das Städtchen. Reiseradler, die wohl auf dem Elberadweg unterwegs sind, kommen mir entegen. Von denen haben manche auch ganz rote Gesichter. Man grüßt sich.

Jetzt im Havelland fährt es sich entspannter, ganz gut, dass der Druck weg ist; eigentlich stimmt das Tempo wieder, aber ich achte nun nicht mehr auf den Schnitt; in den Dörfern muss ich wegen des Kopfsteinpflasters runterbremsen, und in irgendeinem dieser Dörfer verliere ich die eine der beiden Wasserflaschen, natürlich die noch volle. Das bemerke ich aber erst, als ich kurz vor Rhinow an der Havelbrücke zum Austreten anhalte. Dumm, also muss unbedingt Wasser besorgt werden. Gelegenheit dazu bietet ein Gasthof mit Otto-Lilienthal-Gedenk-Saal (der stammt wohl aus dieser Ecke) in Rhinow. Und da dort ein schöner schattiger Innenhof lockt, und ich eigentlich nicht ohne Verzehr nur um Wasser schnorren möchte, kehre ich zum dritten Male ein. Apfelschorle und einen Salat mit gebackenen Feta gibt es. Die Wirtin ist recht gesprächig, für das Land gäbe es eine Sturmwarnung, aber es sei doch gar nichts zu merken, erzählt sie. Hmm, frage ich mich, doch besser in den Zug? Das letzte Mal aber, erzählt sie weiter, war es auch so, da war dann nur die Stadt Brandenburg betroffen, aber in Rhinow war nichts. Tatsächlich tobte es diesmal im Osten, in der Frankfurter Gegend, lese ich am nächsten Tag in der Zeitung. Dass ich noch bis Berlin wolle, mag sie kaum glauben, und als ich erzähle, dass ich am Morgen in Hamburg gestartet bin, schaut sie mich mit so ungläubigem Blick an, als zweifle sie an meiner Zurechnungsfähigkeit. Auch, dass es nur noch 80 KM bis Berlin sein sollen, bestreitet sie vehement (hat sie vielleicht 18 Kilometer verstanden? Denn wenig später in Friesack an der B5 weist ein Schild 72 KM aus).

Bis Berlin geht es nun - von den kurzen Trink- und Pinkelpausen abgesehen - in einem Zug durch. Die Müdigkeit ist weg, der Körper muckt auch nicht weiter auf, nur in den Zehen kribbelt es manchmal; die fühlen sich dann ganz heiß an, ein ander mal wie eingeschlafen, ich sollte die Position der Cleats doch mal verstellen, vielleicht hilft das.

In Friesack überquere ich die Bahn, ich vergleiche mit der vorjährigen Tour, da waren die letzten 60, 70 Kilometer die anstrenegendsten, von Winsen an schlich ich nur noch dahin. Das ist dieses Jahr anders, wenn ich denn fahre, verliere ich nicht an Tempo, wird wohl dem Rückenwind geschuldet sein, nur die Pausen bremsen mich aus. Als das erste Hinweisschild auf Nauen auftaucht, stellt sich die Gewissheit ein, es bald geschafft zu haben. Das ist ja schon beinahe Heimat.

Zuvor kommt aber noch der Prinzendamm; ein Weg aus kaum miteinander verbundenen Betonplatten, in jeder ein Loch, quer durch den Wald. Langsam sollte ich hier fahren, aber das zieht allerlei Getier auf mich, Fliegen und Bremsen und Mücken und anderes, ziemlich unangenehm, also bin ich unvernünftig schnell, so ab 18 KM/h kommen die nicht mehr mit. Das Ende der Betonplattem bemerke ich so zu spät: das ist dann ein sandig-steiniges Loch, so grau wie der Beton zuvor, ich bremse runter, schaffe es aber nicht mehr, rechtzeitig auszuklicken und rutsche so in die Botanik, begleitet von einem hässlichen Aufjaulen aus der Schaltwerkrichtung am Hinterrad. Das, denke ich, war sowieso schon verbogen und sollte getauscht werden. Hoffentlich hat es nichts Schlimmes abbekommen.

Hat es nicht. Ich klopfe notdürftig den Dreck ab, steige auf, richte den ein wenig verbogenen Lenker und fahre weiter.

Schönwalde Siedlung ist der letzte Ort in Brandenburg, am Berliner Ortsschild recke ich die Faust, toll, finde ich. Nun geht es durch den Spandauer Forst in die Stadt hinein, die langsamste Etappe meiner Tagestour. Kurz nach Zehn bin ich vor der Roten Insel, ziehe noch Geld am Automaten, zehn nach zehn schalte ich nach 314 Kilometern vor meiner Hautür das GPS-Gerät aus. Ich dusche und dusche und dusche .. und dann laufe ich - oder besser: wackle ich - zur Jansen Bar auf ein doch wohl wohlverdientes Bier hin und um mich ein wenig feiern zu lassen. Klappt dann auch. Schön war's. Wann geht's wieder auf Tour?