Mittwoch, 16. September 2009

Buchbrunn




Sonntag also, als der Nachmittag allmählich die Mittagszeit auflöste, kam der Zug in Klagenfurt an. In Villach waren die meisten Mitreisenden ausgestiegen, mit den übrig gebliebenen hatte ich aus den Fenstern auf den Wörthersee geschaut und mich so auf diese Kindheitserinnerungsetappe eingestimmt; denn natürlich musste ich an seichte 60er-Jahre-Filme mit Roy Black und an Samstag-Abend-Fernsehshows, die regelmäßig bei der Großmutter geschaut wurden (mit ovalen, rosa und weißen mit Schokolade gefüllten Pfefferminzdrops [wie hießen die und gibt’s die heute noch?] und danach brachte sie mich eingeschlafenes Kind, ohne dass ich es bemerkte, in ihr Bett), denken, und im Hirn trällerte „die Rose vom Wörthersee“ enervierend herum. Im „Packerlwagen“ ein anderer Reiseradler, mit beladenen MTB und schweren Rucksack. Der machte sich an eine Klettertour in den Alpen.

Mich empfing mein in den nächsten drei Wochen treuster und erbarmungslosester Begleiter erbarmungslos: eine brütend heiße Sonne an einem himmel- (später dann ja wohl adria-) blauen Himmel, unter dem sich Klagenfurt dumpf und träge wegduckte. Einige Touristen, einige Einheimische, die wohl unbedingt ganz dringend irgendwo hin mussten; denn sonst wären die doch sicherlich in einem kühlen abgedunkelten Wohnzimmer auf einer Couch geblieben oder hätten in einer freundlichen Küche beieinander um einen Tisch herum gesessen. Ich drehte eine erste Runde auf dem Dreirad durch die in Einbahnstraßen fest verschnürte Innercity, sah sowas wie einen zentralen Platz mit Kirche oder Rathaus oder beidem und Touristen, die fotografierten [fotografierende Touristen waren dann weitere erbarmungslose Begleiter in den nächsten Wochen] und beschloss, meine lustlose (denn Klagenfurt riss mich nicht vom Rad) Stadtbesichtigung sein zu lassen und mich auf den getrackten Weg Richtung Osten zu machen.

Richtung Osten: da führte dann eine schattige Straße in ein Wochenend-verödetes Gewerbegebiet und dann war ich irgendwo im Land in einem leichten Auf und Ab mit Ausblicken auf die Karawanken, und dann wieder aufsteigend in einem Wald, überholt von MTB-Fahrern, und runter in ein Dorf hinein und hindurch; Leute schauten mir wohl hinterher, klar, denn runter war ja meist 'pfeil-schnell'. Ein Kribbeln, denn zu gern hätte ich irgendeine vergrabene Erinnerung von einem überraschenden Anblick in eine schöne Helligkeit hinein befeuern lassen, aber das geschah gar nicht, nur Zweifel regten sich bei dieser oder jener Fernsicht: „diese Burg dahinten, da wart ihr doch bestimmt mal? - Ja mag sein, die Aussicht kommt mir bekannt vor, aber vielleicht auch nicht.“ Und irgendwo kläffte ein Hund hinter mir her.

Dann ging die Straße in einen schmalen Weg über, und ich zweifelte an meinem vorgegebenen Track, aber alles stimmte; ich fuhr auf den Klopeiner See zu, erster Erinnerungspunkt. Dort hatten wir Kinder in unseren Ferien (drei vier mal waren wir wohl in Kärnten) gebadet, war man von dem Steg ins Wasser gesprungen, hatte geplanscht (welches Glück, wenn eine Luftmatratze dabei war) oder schwamm gar, hatte mich mein Bruder einmal fast in die Tiefe gezogen, panisch, bis ein Mann, der das beobachtete, entschlossen hineinsprang um meinen untergehenden Bruder hochzuziehen, mich von meiner Panik zu befreien und uns Geschwister zu den erst ahnungslosen, dann bestürzten und schließlich dankbaren Eltern zurückzubringen. Gegenüber war wohl die hüglige Uferseite, und da fuhr ich jetzt: Trubel. Da wird also immer noch gebadet, geschwommen, untergegangen, gerettet. Autos, Campingplätze, Schwimmbäder, Autos, Spaßfahrräder, Autos. Da also schnell weiter; einen Platz zum Anhalten und Besinnen fand sich nicht.


Weiter aber hieß: in das hinein, was ich tatsächlich wiedererkannte: westlich der Straße ein sanfter bewaldeter Hügelrücken (Blaubeerensammeln und irgendwer, das weiß ich noch, sang „Ja wir san mit dem Radl da“!) und östlich Buchbrunn,

das irgendwie schiefe, weiße, aber so schön-schlichte Kirchlein mit dem Wetterhahn auf dem Turm und Schwalben, die abends aufgreregt drum rum oder hoch drüber flatterten [und jemand erklärte anhand der Schwalbenflughöhe das Wetter des nächsten Tages]. Und bei Dunkelheit Grillengezirpe, denn die Kirche stand nicht inmitten eines Dorfes umgeben von Häusern und Straßen, Bäumen und Bänken und einem Kirchhof, sondern inmitten des kaum vorhandenen Dorfes und deshalb auf drei Seiten umgeben von Feldern und nur auf einer Seite, und da war auch nur eine Stichstraße, die bald in einen schottrigen Feldweg überging, zwei Höfe, und der eine der beiden, der gehörte „dem Bauern“, wie mein Vater sagte, und bei „dem Bauern“ machten wir regelmäßig drei Wochen lang Sommerurlaub. Da stand ich jetzt mit meinem Trike und fotografierte erst die Kirche, dann – etwas verschämt-versteckt - den Hof, der viel kleiner, als meine Erinnerung vorher behauptet hatte, und deshalb ja vielleicht gar kein richtiger Hof war. Aber sonst schien alles zu passen. Ob die noch an Urlauber vermieten? Es sah nicht so aus. Ob da noch ein Bauer lebt? Auch danach sah es nicht aus. Da hatten wir die Mondlandung geguckt, bekamen Windpocken, erlebten wir drei Wochen lang die Mittagslangeweile, wenn die Eltern sich hingelegt hatten (so wir nicht im Audi in Kärnten oder Slowenien und einmal sogar in Italien, in Grado [Gott, war das toll, wieso konnte man denn da nicht den ganzen Urlaub verbringen?] unterwegs waren), rochen wir Heu und Tiere in Ställen und Misthaufen, tranken die Erwachsenen abends Slivowitz.

Daran dachte ich und schaute in die Felder, den Weg entlang, denn auf dem hatte ich mich einmal wegen irgendetwas wütend und verletzt aufgemacht um wegzugehen und war dann natürlich doch umgekehrt, rechtzeitig, noch ehe die Eltern sich an den nachmittäglichen Kaffeetisch gesetzt hatten. Und wenn ich nicht umgekehrt wäre? Lust hatte ich, jetzt diesen Weg nach Eberndorf, der dritten Station meines Erinnerungstrips, zu nehmen, aber Staub und Schotter hielten mich ab.

Stattdessen wieder auf die Hauptstraße, und da leitete mich ein Hinweisschild doch in die Felder, auf eine Fahrradroute nämlich, die dort asphaltiert angelegt worden ist. Ich folgte ihr, fuhr auf das weiße langgestreckte Stift zu, und war fix da. Woran ich mich genau erinnerte? An eine Metzgerei seltsamerweise und seltsamerweise gab's die immer noch, nur heute am Sonntag geschlossen, was wohl ein Manko in meiner Planung war, denn jetzt hatte ich Lust hineinzugehen und nach einer Wurst zu verlangen. So beschloss ich nur es nun gut sein zu lassen mit dem Kram von vor 40 Jahren; hier – hatte ich bei der Planung gedacht - würde ich mir ein Zimmer suchen, aber ich verließ Eberndorf, weiter in süd-östlicher Richtung, folgte dann dem Grenzverlauf, in dessen Nähe die Ortsschilder auch den slowenischen Namen auswiesen, gegen den Willen der Haider-Kärntner, wie ja bekannt ist. Wenig Verkehr hier, in einem Ort wurden die Reste eines Volksfestes, Bänke, Tische und Bühne, zusammengetragen und weggeräumt. Langsam hielt ich Ausschau nach einer Unterkunft, fand aber nichts, fuhr stattdessen weiter, erst dem Loibach dann dem St. Margarethner Bach entlang, bis schließlich feststand, dass ich nun nur noch einen Katzensprung vom ehemaligen Grenzübergang nach Slowenien entfernt war. Da wollte ich aber erst am nächsten Tag hin, also entschied ich mich nach Bleiburg zu fahren und dort zu übernachten.

Drei Überraschungen gab's in dem Hotel: es war freundlich und günstig, auf dem Zimmer fand ich die Mappe eines Künstlers, der so hieß wie „der Bauer“ damals, und im Treppenhaus entdeckte ich unter allerlei Fotos von mehr oder weniger prominenten Besuchern auch eines vom Artmann (und beim zweiten Hinschauen, nachdem ich mit der Wirtin drüber gesprochen und sie mich darauf hingewiesen hatte, auch eines vom Handke und vom Krassnitzer, dem „Schauspieler, Sie wissen schon“). Der Artmann aber hatte hier mal gelesen - in dem großen Saal, in dem jetzt mein Trike stand, vor vielen Jahren, da führte die Schwiegermutter noch das Haus. Auch das erfuhr ich von der Wirtin. Ich schlenderte die Straße rauf und runter, schaute in Schaufenster kleiner Galerien und netter Kunstgewerbeläden und suchte mir einen Platz auf der Straße (denn der Abend war so mild wie die Abende vor 40 Jahren) vor dem Hotelrestaurant. Dort gebrautes Bier gab es und ein lecker Abendessen. Junge Leute, die nach und nach auf Fahrrädern ankamen, teilten einen großen Tisch, und einer von ihnen erzählte von Paris, denn da lebte er nun. Das gefiel mir alles sehr gut.

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